21.11.2025 | Die Justizvollzugsanstalt Offenburg unterhält wie die anderen Gefängnisse des Landes eigene Betriebe, die wirtschaftlich arbeiten müssen. Das ist kein Selbstläufer. Zwar haben die JVA-Betriebe langjährige Auftraggeber. Doch viele wissen gar nicht, dass es sie überhaupt gibt.
Arbeit mit eingeschlossen
Artikel von Pascal Cames vom 01.10.2025 - Netzwerk Südbaden
Welcher Betrieb kann schon mit Insektenhotels, Kugelschreibern sowie maßgefertigten Geländern und Handläufen aus Edelstahl dienen? Ein Portfolio in dieser Bandbreite ist rar. Die Justizvollzugsanstalt Offenburg (JVA) agiert mit zehn Betrieben als Wirtschaftsakteur auf dem Markt. Insgesamt gibt es zwölf Werkstätten, davon eine Arbeitstherapie und eine Beschäftigungstherapie.
Die JVA-Betriebe werben mit Flyern, haben eine Webseite, einen Onlineshop und sind in den sozialen Netzwerken aktiv. In Offenburg führt Yannick Sutterer seit einem Jahr die Geschäfte des Vollzuglichen Arbeitswesens (VAW). Er sucht seine Kunden unter anderem auf Messen. Geht es darum, billiger zu sein? „Mit Sicherheit nicht.“ Das VAW sieht sich als verlängerte Werkbank, die auch dann einspringen kann, wenn eine Firma draußen kurzfristig einen größeren Auftrag stemmen will. Wo bekommt man auf die Schnelle fünf, zehn oder zwanzig Arbeiter her? Dazu die zusätzliche Produktionsfläche? Hier kommt das VAW ins Spiel. 5000 Quadratmeter gehören den zwölf Werkstätten, dazu 1250 Quadratmeter fürs Lager. Mehr als 300 Gefangene sind beschäftigt, dazu 40 Mitarbeitende in Verwaltung oder Werkstätten. Zum Leistungsspektrum des VAW gehören Tätigkeiten wie sortieren, prüfen, konstruieren, montieren, konfektionieren.
„Die Gefangenen müssen motiviert sein, es bringt ja nichts, wenn sie Fehler machen.“ — Yannick Sutterer, Vollzugliches Arbeitswesen Offenburg
Ein anschauliches Modell, das ein Gefangener in der Arbeitstherapie gebastelt hat, zeigt die Dimension und Weitläufigkeit des zwölf Hektar großen JVA-Geländes. Hier ist der lange Werkstatttrakt zu sehen sowie die vier parallel nebeneinanderstehenden Hafthäuser für die Gefangenen, die nur ein paar Tage, ein paar Jahre oder lebenslänglich vor sich haben. Oder Sicherheitsverwahrung. Nicht alle sind im erwerbsfähigen Alter, auch über 70-Jährige sitzen ein. Ausbrüche gab es seit der Eröffnung 2009 keine. „Die Offenburger JVA ist ein Hochsicherheitsgefängnis“, erklärt Yannick Sutterer, „und immer noch das modernste in Baden-Württemberg.“ Wie um den Unterschied zu früher verdeutlichen, steht frei im Raum eine Holztür, wie sie früher im alten Offenburger Gefängnis an jeder Zelle war. Diese ist für einen Mann durchschnittlicher Größe zu klein.
Ein Teil des Lohns wird angespart fürs Überbrückungsgeld
Jeder Gefangene kostet den Staat um die 180 Euro pro Tag. Was ist der Auftrag? „Resozialisierung”, sagt Yannick Sutterer, „aber auch Schutz der Allgemeinheit”. Für die Resozialisierung stehen unterschiedliche Angebote zur Verfügung, so zum Beispiel Gruppen wie die Anonymen Alkoholiker oder ein Opfer-Empathie-Training. Auch Arbeit dient der Resozialisierung, ein wichtiger Punkt ist aber auch, den Gefangenen eine sinnvolle Beschäftigung zu bieten. Da nur 300 Arbeitsplätze vorhanden sind und mehr als 500 Gefangene einsitzen („wir sind überbelegt“) gibt es Wartelisten.
Neue Ausbildungen werden am Schwarzen Brett beworben. Der Arbeitstag beginnt morgens um halb sieben und endet um 14.30 Uhr. Dazwischen liegen die üblichen Pausen. Während des Feierabends gibt es eine Stunde Hofgang, dazu ungelenkte und gelenkte Freizeit, wie zum Beispiel Sport, Sprachkurse, Spiele oder die erwähnten Gruppen. Manche kochen sich was. Die Gefangenen haben die Möglichkeit, zweimal im Monat bargeldlos einzukaufen.
Wer nicht arbeitet, bleibt in seiner zwischen neun und zehn Quadratmeter großen Zelle. Wer die Arbeit mehrmals verweigert, wird von der Arbeit abgelöst. „Die Gefangenen müssen motiviert sein, es bringt ja nichts, wenn sie Fehler machen“, erklärt Yannick Sutterer. Darum wird trotz Arbeitspflicht niemand ge-zwungen. Allerdings gibt es dann auch kein Taschengeld. Das bekommen nur Gefangene, die unverschuldet ohne Arbeit sind.
Wie im normalen Arbeitsleben auch wird Arbeit vergütet. Viersiebtel des Lohns werden angespart für das Überbrückungsgeld nach der Entlassung. Bis zu 600 Euro Lohn monatlich sind möglich, wenn die Arbeit sehr hochwertig ist oder sehr viel (nach Stückzahl) geschafft wird. Der Mindestlohn beziehungsweise das Taschengeld beträgt knapp 48 Euro im Monat. Auf den ersten Blick eine lachhaft geringe Summe, rechnet man aber die Kosten für Unterbringung, medizinische Versorgung, Therapien, Sport, et cetera dazu, erhält der Gefangene viel mehr als ein Taschengeld.
Aufträge kommen von Firmen, Privaten und anderen JVAs
Die Werkstätten liegen alle nebeneinander und sind durch den Flur verbunden. In diesem Bereich befindet sich zudem das Zentrallager mit zwei Andockstationen für Lkw. Jeder Lkw wird in einer Schleuse kontrolliert. „Das dauert zwei Minuten“, sagt Yannick Sutterer. Innerhalb der Werkstatt dürfen sich die Gefangenen frei bewegen, können in die Raucherecke (mit Rauchabzug) oder im Rahmen ihrer Tätigkeit Material oder Werkzeug holen, etwas wegbringen, sich besprechen. Oder ungestört arbeiten, wie der Schweißer, der eine Tür fertigt, wie sie für bestimmte Hafträume moderner Gefängnisse gebraucht werden.
Nicht jeder Auftrag ist für eine Firma draußen. Die Stahltür kommt als zweite Tür hinter eine vordere Zellentür. Sie wird mit einer Makrolonscheibe verstärkt sein, damit die Gefangenen die Justizvollzugsbeamten (der Begriff „Wärter“ ist verpönt) nicht angreifen können. Die Tür hat zwei Öffnungen. Eine für die Hände und die andere für die Füße. So können die Gefangenen vor Verlassen des Haftraumes an Händen und Füßen geschlossen (fixiert) werden. Während der Gefangene weiter an der Tür arbeitet, erklärt sein Meister, was hier gemacht wird. „Wir bekommen unsere Aufträge von anderen JVAs wie bei der Tür, von Firmen, aber auch Privatleuten, die unsere Arbeit kennen und uns die Pläne geben. Natürlich können wir auch selbst nach Kundenwunsch planen und konstruieren.“
„Wir können mit den Firmen draußen mithalten“ — Meister in einer JVA-Werkstatt
Sobald der Arbeitstag zu Ende ist, wird die Werkstatt kontrolliert. Liegt jedes Werkzeug an seinem Platz? Manchmal kommt es vor, dass aus Versehen ein Werkzeug auf eine Palette abgelegt wird und diese dann ins Lager transportiert wird. Dann fehlt das Stück und muss gesucht werden. Manchmal wird aber auch absichtlich etwas verlegt. „Wir krempeln den ganzen Laden um, bis wir das Stück gefunden haben“, sagt der Meister und meint es auch so. Die Arbeitsbetriebe des VAW sind nach DIN EN ISO 9001 zertifiziert, die Schlosserei zudem nach DIN EN 1090 – 2 (MAG). Die CNC-Dreh- und Fräsmaschinen sind so gut wie neu. „Wir können mit den Firmen draußen mithalten“, betont der Meister.
Ungelernte Gefangene finden genauso Arbeit, wie der gelernte Schlosser oder CNC-Fräser. Wer aus dem Holzhandwerk kommt, kann einen Antrag stellen, um beispielsweise in Freiburg zu arbeiten, wo es eine Schreinerei gibt. Andersherum funktioniert es, dass ein Metaller nach Offenburg verlegt wird. Die JVA bietet für Gefangene, die weniger als ein halbes Jahr einsitzen, sogenannte Fortbildungen an, zum Beispiel Schweißerkurse oder Staplerscheine, und für die anderen zweijährige Ausbildungen zur Fachkraft Küche, Fachlagerist, Fachkraft Metalltechnik. Auch Industriemechaniker werden ausgebildet. Die Lehrerinnen und Lehrer der Berufsschule kommen dafür in die JVA. „Wir hatten schon einen Jahrgangsbesten“, erzählt Yannick Sutterer. Als Paradebeispiel wird ein Meister genannt, der jetzt bei einem renommierten Fahrzeughersteller arbeitet.
Trotz aller Angebote bleiben die Prognosen bescheiden. Je nach Studie liegt die Rückfallquote der Häftlinge zwischen 30 und 50 Prozent. „Die Drogen“, sagt ein Meister, der etliche Gefangene schon zweimal und einen sogar schon dreimal in seiner Werkstatt hatte. Es ist nicht immer die Sucht, sondern das Geschäft. „40 Stunden arbeiten für 1800 Euro im Monat ist nichts, im Vergleich zu dem, was man mit Drogen verdienen kann.“ Ein weiterer Grund sei die Hospitalisierung. Wer einsitzt, lebt geregelt. Für alles ist gesorgt. „Da sind viele schnell überfordert, wenn es um die Dinge des Alltags geht“, weiß der Meister. Je nach Standpunkt sind die Türen geschlossen oder offen.